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MEHDI CHOUAKRI
GALLERY
“Heidi Bochnig:
The Depth of Time”
by Friedrich Meschede
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Man muss diesen Ausstellungstitel zunächst als historische Zeit verstehen, liegt es doch einige Jahre zurück, dass Arbeiten auf Papier von Heidi Bochnig erstmals 1973 in Köln in einer heute legendären Galerie ausgestellt waren. Danach wurde es ruhig um diese Künstlerin. Ausstellungen fanden nur noch sporadisch statt, wenngleich die minimalistische Formensprache der Arbeiten der Avantgarde jener Epoche entsprach und entsprang. Es liegt auch darin begründet, dass Heidi Bochnig etwas abseits vom Kunstbetrieb der Rheinmetropole für eine Weile an die deutsch-belgische Grenze gezogen ist und dort private Zeit für sich verbracht hat. Aus dieser Tiefe der Zeit ist Heidi Bochnig irgendwann nach Köln zurückgekehrt. In dieser Lesart bezeugt die Kontinuität des Arbeitsprozesses dieser Jahre einen wichtigen Aspekt ihrer Kunst, nämlich mit Konsequenz ihrem Thema verpflichtet zu bleiben. Heidi Bochnig ist sich mit ihrer künstlerischen Arbeit über all die Jahre treu geblieben. Die Tätigkeit war und ist ihr Lebensmittelpunkt, nicht der Ort, an dem sie ausgeübt wird.
Diese künstlerische Tätigkeit, der sich Heidi Bochnig widmet, indem sie extrem verdünnte Wasserfarben auf feste Büttenpapiere aufträgt, ist nun die weitere Lesart des Titels „Tiefe der Zeit“. In diese Papierarbeiten fließt nicht nur die Wasserfarbe ein, damit nimmt auch Zeit Gestalt an, Dauer und Geduld, derer es bedarf, Flächen trocknen zu lassen, bevor eine neue Schicht aufgetragen werden kann. Heidi Bochnig legt über die gesamte Papierfläche eine erste Farbschicht an, sie lässt sie trocknen, um anschließend, um wenige Zentimeter, quasi um eine Pinselbreite verkürzt, die zweite Schicht darüber zu legen, dann eine dritte und die weiteren etc., so lange, bis in der Mitte des Bildträgers jene materielle Dichte entstanden ist, die von dieser Tiefe der Zeit nun visuell erzählt. Die an den Rändern immer erkennbar transparente Lasur wird Material. Das Schichten der Farbflächen erwirkt eine Verdichtung. Vermöge dieser schichtweisen Verdichtung hin zu einer sinnlichen, den Betrachter nahezu körperlich einnehmenden Farbintensität im Zentrum des Blattes, bleibt an den Rändern jeder neuen Farbfläche diese schrittweise zunehmende Skala der Konzentration immer ablesbar. Der Arbeitsprozess wird vorstellbar, nachvollziehbar und in seiner sturen Sachlichkeit ganz unmittelbar das konstitutive Moment dieser Erzählung. Es kommt zu einer sehr materiellen Farbintensität aus der Geduld des Auftragens heraus. Die Blätter sind alle als „ohne Titel“ zu verstehen, gleichwohl wendet Heidi Bochnig bisweilen die handelsüblichen Bezeichnungen für die Farben als Hilfstitel an, um die Blätter zu identifizieren und um die von ihr verwendete Farbe damit in technischer Präzision anzugeben. [...]
Schließlich verweist diese Erkenntnis aus der Tiefe der Zeit des Herstellungsprozesses auf eine weitere Interpretationsebene: auf die Dauer des Sehens beim Betrachter. Hier greifen zwei Prozesse wechselseitig ineinander. Die Werke von Heidi Bochnig ziehen das Auge an, binden den Blick in den Flächen gerade auch wegen ihrer haptischen Dichte. Es entsteht ein Wechselspiel des Sehens, ausgelöst vom Kunstwerk, eingelöst vom Betrachter. Man muss bereit sein, den Spuren seines Erkennens zu folgen.
Hier können zwei Werkgruppen unterschieden werden. Die eine folgt dem Prinzip der Verdichtung nach innen, die andere sucht die Ausweitung nach außen, indem die Kreise mit geringem Abstand zueinander angelegt sind und sie sich wie Jahresringe eines Baumes oder die Wellen eines in Wasser geworfenen Steins vergrößern.
Heidi Bochnig wurde einst in den 1960er Jahren an der Textilingenieurschule in Krefeld in der Klasse Druckgestaltung ausgebildet. Das Konstruieren und Zeichnen von Mustern gehörte zu den Aufgaben. Die Gestaltung textiler Stoffe verlangt nach Regeln und Prinzipien, was sowohl die Erstellung des Stoffes angeht als auch seine Weiterverarbeitung mit einem Dekor. Weben und gestalten gehen, wörtlich, „Hand in Hand“. Textile Muster leben von der Wiederholung und Verzahnung der Binnenmotive hin zu einer unendlich weitergedachten Bahn von Stoff, aus dem ein „Ausschnitt“ später ein Produkt werden lässt, das ganz unterschiedliche Funktionen erfüllen kann. Mir scheint diese Ausbildung und die mit ihr damals eingeübte Haltung gegenüber der eigenen Tätigkeit prägend zu sein bis heute für die Haltung gegenüber den autonomen Farbblättern, die Heidi Bochnig seit Jahren schafft. Das Anlegen dieser Werke erfordert eine bestimmte Disziplin, der individuelle Auftrag der Farbschichten in freier Handführung erzielt dem gegenüber lebendige Konturen, eben eine Art „Handschrift“, die den Rändern der Farbabläufe feine Unregelmäßigkeiten abringt, die das Auge anziehen. Alles ist Freihandzeichnung, ein Hilfsmittel würde es mechanisch erscheinen lassen. Genau das will das sehende Auge beständig überprüfen, um glücklich an den feinen Abweichungen der Zeichnung zu resignieren.
Das wird besonders an den Kreismotiven deutlich, die von der Konzentration, das meint der durch ein Zentrum bestimmten Ordnung ausgehen. Hier können zwei Werkgruppen unterschieden werden. Die eine folgt dem Prinzip der Verdichtung nach innen, die andere sucht die Ausweitung nach außen, indem die Kreise mit geringem Abstand zueinander angelegt sind und sie sich wie Jahresringe eines Baumes oder die Wellen eines in Wasser geworfenen Steins vergrößern. Der Farbauftrag ist hierbei eine besonders körperliche Übung, die nicht schematisch das Grundmotiv beschreibt, sondern jede Kreisform so aufträgt, dass das Führen der Hand über die gegebene Fläche reicht. Dem Radius der Geste entspricht eine Armlänge; darin werden Spuren des Körperlichen bezeugt. Das Aquarell wird menschlich, sinnlich, körperlich. Erfahrbar.
Die Werke von Heidi Bochnig sind rational zu beschreiben, die im Titel der Ausstellung manifestierte Tiefe der Zeit deutet lyrische Ebenen an, die die Künstlern zulässt, sie aber nicht unbedingt anstrebt. Sie behauptet sich durch das Tun, das ohne Emotion vordergründig der Materialität von Farben nachgeht, im Ergebnis sich so zu einem Werk verselbständigt, von dem man eingenommen wird und für sich selbst die Skala an Poesie bestimmen muss, je nach Tiefe der Erkenntnis des Betrachters dieser Aquarelle.
translation “Time” primarily refers to the historical notion of time; many years have passed since 1973 when a celebrated gallery in Cologne first exhibited works on paper by Heidi Bochnig. Subsequently, things became quiet around the artist. Even though the works’ minimalist style is akin to the avant-garde of that era and emerged from it, exhibitions took place only sporadically. One explanation is that Heidi Bochnig moved to the German-Belgian border for a while and spent some time in private there, away from the Rhine metropolis’ art scene. From this depth of time, however, Heidi Bochnig returned to Cologne at a later point. This particular continuity of Bochnig’s work process throughout the years testifies to an essential aspect of her art, namely to her continuous commitment to the chosen subject matter. In her artistic work, Heidi Bochnig has remained true to herself over the years. The practice itself, rather than the place of practice, was and still is the center of the artist’s life. |
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“Heidi Bochnig:
The Depth of Time”
by Friedrich Meschede
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excerpt “Time” primarily refers to the historical notion of time; many years have passed since 1973 when a celebrated gallery in Cologne first exhibited works on paper by Heidi Bochnig. Subsequently, things became quiet around the artist. Even though the works’ minimalist style is akin to the avant-garde of that era and emerged from it, exhibitions took place only sporadically. One explanation is that Heidi Bochnig moved to the German-Belgian border for a while and spent some time in private there, away from the Rhine metropolis’ art scene. From this depth of time, however, Heidi Bochnig returned to Cologne at a later point. This particular continuity of Bochnig’s work process throughout the years testifies to an essential aspect of her art, namely to her continuous commitment to the chosen subject matter. In her artistic work, Heidi Bochnig has remained true to herself over the years. The practice itself, rather than the place of practice, was and still is the center of the artist’s life. |
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