translation
writing
language
expression
LAFAYETTE ANTICIPATIONS/
KÖNIG BOOKS
Martin Margiela at
Lafayette Anticipations, 2021
“Serendipity”
by Friedrich Meschede
translation
essay in exhibition catalogue
excerpt
Ein „Objet trouvé“ kann man nicht planen, man kann, nachdem man es gefunden hat, damit gestalten. Wer am Strand nach Kieselsteinen sucht und einen bestimmten unter den zahllosen anderen entdeckt, der sich aufgrund irgendeines ästhetischen Merkmals unterscheidet, entscheidet sich für einen bestimmten, nur dem Finder in dem Moment ins Auge fallenden Kiesel und nicht für denjenigen daneben; man erkennt bereits eine gewisse Besonderheit im „caillou trouvé“. Für Juan Miró, Henry Moore oder heute Jimmie Durham waren solche Steine und ihre spezielle Gestalt immer Inspiration für ihre Formensprache. Für John Cage waren sie Motiv einer Serie faszinierender Handzeichnungen, er pauste allein ihre Umrisskontur ab. Dies gilt umso mehr für Strandgut, meint Abfälle, die vom Transport im Meer patiniert und in entstellter Gestalt wieder an Land gespült werden. Strandgut impliziert Verfall, Vergangenheit, Verlorenheit, eben Momente, die beim Finden gegenwärtig werden und ihre Faszination ausmachen.
Ein solcher glücklicher Fund führt uns nun weiter in die Literaturgeschichte und ruft das Märchen von den drei Prinzen aus Serendip in Erinnerung, auf die sich der britische Schriftsteller Horace Walpole (1717–1797) in einem Brief vom 28. Januar 1754 an einen Freund bezieht und darin den unübersetzbaren Begriff von Serendipity prägt. Die drei Prinzen, die aus Serendip, dem heutigen Sri Lanka stammen, – daher der Name –, begeben sich ziellos auf eine Reise. Immer jedoch, wenn sie etwas finden, wenn sie auf etwas stoßen, das sie eigentlich gar nicht gesucht haben, dann aber im Moment des Findens sofort erkennen, dass dieser Fund unmittelbar sehr viel mit ihren persönlichen individuellen Erfahrungen zu tun hat, eben dann stellt sich ein besonderer Glücksmoment ein, den Walpole als Serendipity bezeichnet. Der sehr spezielle Begriff meint mehr als den sogenannten „glücklichen Zufall“. Er beinhaltet eine nahezu magische Anziehungskraft zwischen diesem „objet trouvé“ und seinem Finder und dessen Glück in diesem Moment. Ein solcher „Serendipity-Fund“ öffnet die Augen für einen neuen Bedeutungshorizont, der einem bis dahin verschlossen war. Serendipity hat wegweisende Erfindungen und Entdeckungen in der Forschung hervorgebracht, am bekanntesten ist die Entwicklung von Penicillin.
Eben dieser Begriff von Serendipity und die in ihm implizierte Wechselbeziehung zwischen Fund und Finder benennt die Wirkung der Werke von Martin Margiela. Es ist der Moment, der bereits seine Mode bestimmt hat, weil er schon immer zu ihm gehört und nun am Beispiel seiner Kunstwerke weitergelebt wird.
translation It is impossible to plan an objet trouvé; only after finding it does the artistic endeavour begin. Searching for pebbles on the beach and discovering one particular stone among countless others—some aesthetic feature determining its uniqueness—means that it was that specific pebble, not the one next to it, that caught the finder’s eye in that moment. Therefore, one can already see a certain peculiarity in this ‘pebble trouvé’. Joan Miró, Henry Moore, and Jimmie Durham in the present day have all been continuously inspired by such stones and the unique shapes in their aesthetics. John Cage chose them as the motif of a series of fascinating hand drawings in which he traced only their outlines. This applies all the more to flotsam and jetsam, i.e. pieces of maritime rubbish that are washed ashore in a disfigured form, patinated by their time at sea. Flotsam and jetsam imply decay, the distant past, forlornness—moments that manifest when they are found and which constitute their fascination. |
GER → EN
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LAFAYETTE ANTICIPATIONS/
KÖNIG BOOKS
Martin Margiela
at Lafayette Anticipations, 2021
“Serendipity”
by Friedrich Meschede
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essay in exhibition catalogue
excerpt It is impossible to plan an objet trouvé; only after finding it does the artistic endeavour begin. Searching for pebbles on the beach and discovering one particular stone among countless others—some aesthetic feature determining its uniqueness—means that it was that specific pebble, not the one next to it, that caught the finder’s eye in that moment. Therefore, one can already see a certain peculiarity in this ‘pebble trouvé’. Joan Miró, Henry Moore, and Jimmie Durham in the present day have all been continuously inspired by such stones and the unique shapes in their aesthetics. John Cage chose them as the motif of a series of fascinating hand drawings in which he traced only their outlines. This applies all the more to flotsam and jetsam, i.e. pieces of maritime rubbish that are washed ashore in a disfigured form, patinated by their time at sea. Flotsam and jetsam imply decay, the distant past, forlornness—moments that manifest when they are found and which constitute their fascination. |
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